Flammendes Plädoyer gegen sexualisierte Gewalt

Theater K zeigt eine hochaktuelle Stückfassung der biblischen Erzählung von Susanna im Bade

Gibt sich im Bade ganz dem Genuss ihrer Schönheit hin und empfängt so das Publikum: Susanna, gespielt von Paula Luy. (c) Gerd Felder
Gibt sich im Bade ganz dem Genuss ihrer Schönheit hin und empfängt so das Publikum: Susanna, gespielt von Paula Luy.
Datum:
30. Apr. 2024
Von:
Gerd Felder

Es ist eine der bekanntesten und folgenreichsten Geschichten des Alten Testaments: die Erzählung von Susanna im Bade im Buch Daniel, die in zwei griechischen Übersetzungen vorliegt, nämlich in einer frühen Septuaginta-Fassung und in einer hundert Jahre späteren Theodotion-Überlieferung. 

Schrecken nicht vor rücksichtsloser sexueller Belästigung zurück: Die beiden Richter (links Jochen Deuticke, rechts Jens-Peter Fiedler) (c) Gerd Felder
Schrecken nicht vor rücksichtsloser sexueller Belästigung zurück: Die beiden Richter (links Jochen Deuticke, rechts Jens-Peter Fiedler)

Spielt die Septuaginta-Version noch in einer jüdischen Gemeinde und stellt Susanna als Frau des Chilkias dar, so ist die spätere Fassung nach Babylon versetzt, und die schöne und fromme Susanna ist die Frau des reichen Jojakim. In beiden Versionen beobachten zwei Älteste, die auch Richter sind, Susanna, wie sie im Park spazieren geht. Als sie an einem heißen Tag ein Bad nehmen will, bedrängen die beiden Richter sie und stellen sie vor die Wahl zwischen Verleumdung und Vergewaltigung… Das Aachener Theater K hat die biblische Geschichte, die vielfach von Malern, unter ihnen Rembrandt, Jacopo Tintoretto, Lorenzo Lotti und Anthonis van Dyck, dargestellt worden ist, aufgegriffen und verdeutlicht in der aktualisierenden, multimedialen Inszenierung von Mona Kreutzer, wie hochaktuell der Stoff in den Zeiten der Me-too-Bewegung ist.

Ahnt noch nicht die Gefahr, die auf sie lauert: Susanna, gespielt von Paula Luy. Im Hintergrund die
Ahnt noch nicht die Gefahr, die auf sie lauert: Susanna, gespielt von Paula Luy. Im Hintergrund die "Badende" von William Adolphe Bouguereau (1864).

Dabei erweist sich der Spielort, das vor einigen Jahren sanierte Stadtbad am Blücherplatz, als ideal. Wenn das Publikum die Szenerie betritt, wird es bereits im Eingangsraum mit der badenden Susanna konfrontiert, und von überallher ist ein Glucksen und Tropfen zu vernehmen.
Sobald die eigentliche Aufführung beginnt, betritt Susanna den Raum, legt sich auf ein Sofa und gibt sich dort dem Genuss ihrer Schönheit und der Ruhe und Erholung im schattigen Garten hin. Versunken in die eigene Herrlichkeit und berauscht vom eigenen Zauber, glaubt sie sich fern von der Welt und unbeobachtet.
In Wirklichkeit aber liegen die beiden Richter (Jochen Deuticke und Jens-Peter Fiedler) bereits auf der Lauer und frönen hemmungslos ihren weitreichenden sexuellen Fantasien („Wir werden ganze Nächte miteinander haben“).
Die makellos schöne, zarte, bezaubernde Susanna ist längst zum Lustobjekt geworden, ohne dass sie es merkt.

Und als sie es merkt, ist es bereits zu spät, und sie sitzt in der Falle: Die beiden Ältesten nähern sich ihr auf leisen, nackten Sohlen begierig und lüstern und stellen Susanna vor die Wahl zwischen Verleumdung und Vergewaltigung („Bedenke, dir bleibt nur die Wahl zwischen geheimer Schändung und allgemeiner Schande“), bedrängen sie und vergreifen sich an ihr.
Wie dieser Missbrauch in einer eigens entwickelten Choreographie zeitlupenhaft gezeigt wird – brutal-drastisch und doch nicht bloßstellend oder gar voyeuristische Bedürfnisse befriedigend –, das ist in der Inszenierung von Mona Creutzer meisterhaft gelöst.
Harter Schnitt, kaltes Licht. „Es ist alles ganz anders, nichts, wie es scheint“, heißt es im Text. Wir befinden uns in der Gegenwart, und Susanna wird von den beiden Ältesten zu aufreizenden Posen für Fotoaufnahmen gezwungen: Sex sells.
Doch sie emanzipiert sich und rebelliert („Ich hab keinen Bock mehr, macht euren Scheiß alleine!“), klagt die beiden Männer ihrerseits wegen sexueller Nötigung und Zerstörung der Schönheit an.
Wieder Szenenwechsel: Vor Gericht werfen die beiden vermeintlichen Saubermänner Susanna Ehebruch mit einem jungen Mann vor, verleumden sie und verdrehen die Tatsachen, wie es ihnen passt.
Jochen Deuticke und Jens-Peter Fiedler spielen die Abgefeimtheit und hinterhältige Perfidie der beiden Triebtäter so überzeugend, dass man sich automatisch an einen Mann wie Donald Trump erinnert fühlt, der in der realen Gegenwart und in aller Öffentlichkeit ähnlich unverhohlen zynisch-wahrheitsverdrehend und zugleich gerissen agiert wie die beiden Ältesten damals.
Die, schließlich selbst angeklagt, stellen nämlich ganz im Stile Trumps ihre Erpressung und ihren sexuellen Übergriff als „Befriedigung einer tief liegenden Sehnsucht“ von Susanna dar und machen sich ohne Hemmungen zu Opfern einer angeblichen Täuschung, das eigentliche Opfer aber zur Täterin.     

Sehr geschickt setzt die Inszenierung Video-Projektionen ein (verantwortlich dafür zeichnet Christoph Küntzel), welche die Bilder großer Maler von Susanna im Bade ebenso zeigen wie das rücksichtslose Vorgehen der beiden angesehenen Richter, die eine Tür öffnen und sich Zutritt zu der schönen Frau verschaffen.
Musikalisch markant und bereichernd sind die Auftritte von Catharina Marquet, die als Erzählerin die Ereignisse mit Liedern wie der Arie „Lascia ch’io pianga“ aus Georg Friedrich Händels Oper „Rinaldo“ begleitet und bohrend, fast schon anklagend ins Publikum schaut. Zu ganz anderen, rockig-schrillen Tönen singt und tanzt das Vier-Personen-Ensemble das Lied vom Heideröslein, das gebrochen wird, und verleiht dem beliebten Volkslied dadurch eine ganz neue Bedeutung. Manfred Leuchter sorgt darüber hinaus in bewährter Weise für den passenden Sound im Hintergrund.     
Die beiden Verleumder, Wahrheitsverdreher und Missbrauchstäter obsiegen am Ende nicht, sondern werden bestraft: Großartig schafft Paula Luy als Susanna die Wandlung von der in sich gekehrten, anbetungswürdigen Schönen zur rebellischen, selbstbewussten, emanzipierten Anklägerin, die ein flammendes Plädoyer gegen die schamlose sexuelle Ausbeutung von Frauen durch rücksichtslos-triebhafte Männer hält und am Ende stolz verkündet: „Ich habe keine Angst – ich bin es, Susanna.“
Eine weitgehend gelungene Aktualisierung, die ein bemerkenswertes Zeichen gegen männlichen Machtmissbrauch, sexualisierte  Gewalt und deren Vertuschung in vielen Bereichen der Gesellschaft, nicht zuletzt in der Kulturbranche, setzt. Bedauerlich ist allerdings, dass Mona Creutzer die Rettung Gottes durch den Propheten Daniel (einen Mann!), wie sie in der Bibel geschildert wird, zugunsten einer Art Selbstrettung wegfallen lässt.
Offenbar passte die alttestamentliche Version nicht ins Konzept und nicht zum säkularen Zeitgeist – schade! Dem hohen Lied auf die weibliche Stärke hätte das keinen Abbruch getan – im Gegenteil.

TERMINE:

Weitere Vorstellungen von „…und im Bade – Susanna“ finden am
8., 9., 10., 11., 12., 17., 24., 25. und 26. Mai
im Stadtbad Aachen jeweils um  20 Uhr statt.
Weitere Information sowie Eintrittskarten unter  www.theaterk.com;
E-Mail: theater-k@arcor.de; Tel. 0241/151155.